Start 2/2020 CORONA: IM WETTLAUF MIT DER ZEIT

CORONA: IM WETTLAUF MIT DER ZEIT

von Nicole Bichler

SPÄTESTENS SEIT MÄRZ FORDERT DIE WELTWEITE AUSBREITUNG DES CORONAVIRUS UNSERE GANZE AUFMERKSAMKEIT. ES GEFÄHRDET UNSERE GESUNDHEIT, ZWINGT UNS, UNSEREN ALLTAG EINZUSCHRÄNKEN, LEGT GANZE WIRTSCHAFTSZWEIGE LAHM UND BESCHÄFTIGT WELTWEIT ZAHLREICHE WISSENSCHAFTLER UND MEDIZINER MIT DER SUCHE NACH LÖSUNGEN ZU SEINER EINDÄMMUNG. WIR HABEN HINTERGRUNDINFORMATIONEN ZUM VIRUS ZUSAMMENGEFASST.

KEIN UNBEKANNTER

Das neue Virus SARS-CoV-2 ist kein Einzelgänger. Die Familie der Coronaviren wurde bereits in den 1960er-Jahren entdeckt. Zu ihr gehört auch das SARS-Virus, das im Jahr 2002 eine Pandemie auslöste, oder der im Sommer 2012 im Nahen Osten nachgewiesene Krankheitserreger MERS-CoV (Middle East Respiratory Syndrome Coronavirus).

Coronavirus

WANDELBARE VIREN

Streng genommen sind Viren keine Lebewesen, weil sie keinen Stoffwechsel haben und zur Fortbewegung einen sogenannten Wirt brauchen. Sie bestehen lediglich aus ihrem Erbgut und einer Eiweißhülle. Durch Mutation können sie ihr Erbgut aber schnell ändern, sodass in kurzer Zeit neue Viren entstehen, die auch neue Wirte befallen können. Während Coronaviren bisher hauptsächlich Säugetiere, z. B. Nager, und Vögel infizierten, ist für das aktuelle Coronavirus SARS-CoV-2 auch der Mensch zum Wirt geworden.

Coronavirus

KEINE PANIK

In der Geschichte hat es immer wieder Pandemien gegeben. Doch heutzutage ist die Welt besser vorbereitet als noch 2002 bei SARS oder 2009, als sich die „Schweinegrippe“-Pandemie von Mexiko aus verbreitete. Eine internationale Zusammenarbeit sowie die herausragende Gesundheitsversorgung und medizinisch-wissenschaftliche Forschung in Deutschland mit noch nie dagewesenen Hilfsmitteln sind gute Gründe, um zuversichtlich zu sein.

KEINE VOREILIGEN SCHLÜSSE

Über mögliche Langzeitfolgen einer überstandenen Covid-19-Erkrankung lassen sich zurzeit noch keine belegbaren Aussagen treffen, so die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP).

Coronavirus

COVID-19

Eine durch das Coronavirus verursachte Erkrankung wird Covid-19 genannt – „Co“ für Corona, „vi“ für Virus, „d“ für disease (engl.: Krankheit) und 19 für das Jahr der Entdeckung.

Coronavirus

KEIN EINHEITLICHER VERLAUF

Das Virus vermehrt sich hauptsächlich im Rachen und kann deshalb leicht per Tröpfcheninfektion übertragen werden. Das erklärt die schnelle Verbreitung. Gelangt es jedoch in die unteren Atemwege, kommt es zu einem deutlich schwereren Krankheitsverlauf – einer atypischen Lungenentzündung mit Flüssigkeitsansammlung und Anschwellen der Lunge. Da unsere Abwehrzellen das Virus aufnehmen, gelangt es in das Gewebe zwischen den Lungenbläschen, was den Betroffenen das Atmen zunehmend erschwert.

Coronavirus

NEUES PROGRAMM

Dringt das SARS-CoV-2 in eine menschliche Körperzelle ein, schleust es sein eigenes Erbgut hinein. Das wiederum programmiert unsere Zelle so um, dass sie selbst Viren produziert. Diese werden freigesetzt und befallen weitere Zellen unseres Körpers.

DAS SAGT DER VIROLOGE

Portrait Dr. Martin StürmerDr. Martin Stürmer,
Virologe und Mitglied der BKK Akzo Nobel.

Wir haben den renommierten Virologen Dr. Martin Stürmer zu Corona befragt. Er leitet ein Medizinlabor und ist
Lehr­beauftragter für Virologie am Klinikum der Goethe-Univer­sität in Frankfurt am Main.

GESUNDHEIT: Herr Dr. Stürmer, wie ist SARS-CoV-2, so die korrekte ­Bezeichnung des neuen Coronavirus, auf einmal entstanden?

Dr. Martin Stürmer: Basierend auf aktuellen Daten sind Fledermäuse der ursprüngliche Träger von SARS-CoV-2, wie auch von anderen Coronaviren. In Wuhan müssten sie zum Zeitpunkt des Ausbruchs der Pandemie allerdings im Winterschlaf gewesen sein. Da sie auch auf dem Markt in Wuhan – so hoffen wir mal – nicht angeboten wurden, muss das möglicherweise genveränderte Virus über ein anderes Tier als Zwischenwirt auf den Menschen übertragen worden sein. Welches das gewesen sein könnte, ist noch nicht bekannt.

GESUNDHEIT: Warum ist die Erkrankung Covid-19 gefährlicher als eine Grippe (Influenza)?

Dr. Martin Stürmer: Im Winter 2017/18 sind nach Schätzungen des Robert Koch-Instituts 25.100 Menschen in Deutschland an Influenza gestorben. Man kann aber mit einer Impfung vorbeugen und so sich selbst und auch andere Menschen schützen, die beispielsweise wegen ihres Alters oder einer anderen Erkrankung nicht geimpft werden können. Das SARS-CoV-2 hingegen ist ein völlig neuartiger Erreger, für den es noch keinen Impfstoff gibt. Und auch die Symptome, die er verursacht, können derzeit nicht mithilfe von Medikamenten behandelt werden.

GESUNDHEIT: Warum dauert die Entwicklung eines Impfstoffs so lange?

Dr. Martin Stürmer: Zuerst muss der passende Impfstoff entwickelt werden, dann folgen zeitaufwendige Versuchsreihen und ein Zulassungsverfahren. Dieser Weg lässt sich nicht abkürzen, weil die Verteilung eines wirksamen, sicheren Impfstoffs mit einer großen Verantwortung verbunden ist. Klar, die Entwicklungslabore stehen gerade unter einem hohen Zeitdruck. Vielleicht schaffen sie es, mit weniger als einem Jahr auszukommen. Aber es kann auch bis 2021 dauern.

GESUNDHEIT: Inwiefern kann jemand, der sich infiziert hat, nach seiner Gesundung noch Überträger sein?

Dr. Martin Stürmer: Ist man selbst wieder gesund, kann man das Virus auch nicht mehr auf andere übertragen. Wir gehen derzeit davon aus, dass eine Gesundung nach 14 Tagen ab Symptombeginn zuzüglich zwei aufeinanderfolgenden symptomfreien Tagen gegeben ist. Bei Patienten im Krankenhaus müssen außerdem zwei PCR-Tests* negativ sein. Aber Achtung: Wer eine Infektion überwunden hat, ist nach heutigem Stand** zwar zumindest für mehrere Jahre immun – längerfristig ist eine erneute Ansteckung aber durchaus möglich.

* PCR-Test (polymerase chain reaction): Test zur Erkennung einer Virusinfektion.
** Das Interview haben wir im März 2020 geführt.

Bildnachweise:
iStockphoto/BlackJack3D; Illustration: scientificanimations.com/CC BY-SA 4.0; privat