UNSERE GENE SIND UNSER UNABÄNDERLICHES SCHICKSAL? ANSCHEINEND NICHT. TATSÄCHLICH KÖNNEN WIR DURCH UNSEREN LEBENSWANDEL DIE DNA MITGESTALTEN – UND VERÄNDERUNGEN MÖGLICHERWEISE SOGAR AN UNSERE KINDER WEITERGEBEN.
Nehmen wir schlanke Mäuse, die durch üppige Kost Diabetes entwickeln. Werden sie die Stoffwechselkrankheit an ihre Kinder weitergeben? Wissenschaftler des Helmholtz Zentrums München zeugten die Nachkommen im Reagenzglas und ließen sie von Leihmüttern austragen und aufziehen, um alle Einflüsse jenseits der Gene auszuschließen. Und tatsächlich entwickelten die Jungen von diabeteskranken Mäusen Übergewicht und Insulinresistenz. Ähnliche Versuche wurden auch mit traumatisierten Mäusen durchgeführt – hier zeigten noch Nachkommen in der fünften Generation psychische Auffälligkeiten.
Bei Menschen verbieten sich solche Versuche selbstverständlich. Aber Beobachtungsstudien weisen in dieselbe Richtung: Schwangere, die im Kriegswinter 1944/45 hungern mussten, brachten Kinder zur Welt, die sich als besonders anfällig für Übergewicht erwiesen (extreme Diäten lassen genau wie übermäßige Kalorienzufuhr den Stoffwechsel entgleiten). Nachfahren von Genozid-Überlebenden sind oft besonders stressanfällig.
Wir nehmen Einfluss
Epigenetik heißt die relativ junge Disziplin, die sich mit dem Zusammenspiel von Genetik und Entwicklung (Epigenese) beschäftigt. Die wichtigste Erkenntnis: Menschen werden nicht nur durch ihre Gene gesteuert, sondern steuern diese durch ihre Lebensführung mit. Durch welchen Mechanismus geschieht das? An die DNA lagern sich beispielsweise Moleküle an, die bestimmte Abschnitte aktivieren oder stilllegen – sie bilden das Epigenom. Diese „Fußnoten“ der DNA werden im Laufe des Lebens immer umfangreicher. Das Genom und damit auch unser Organismus verändern sich ständig: Die Muskelzellen eines sportlich aktiven Menschen beispielsweise regulieren ihre Gene völlig anders als die eines Stubenhockers. Und die auf Stress reagierenden Zellen eines Menschen, der in frühester Kindheit vernachlässigt wurde, arbeiten anders als die von jemandem, der Geborgenheit und stabile Beziehungen erfahren hat.
Ob epigenetische Einflüsse nicht nur die Körperzellen, sondern auch die Keimzellen verändern – und damit an Kinder, Enkel und Urenkel weitergegeben werden –, ist in der Wissenschaft umstritten. Und wird es auch noch länger bleiben, denn beim Menschen lassen sich Einflüsse nicht so isoliert wie im Tierversuch betrachten. Was als erwiesen gilt, ist der Einfluss auf die eigenen Gene und die Prägung der Gene unserer Kinder, vor allem in der Phase der Empfängnis, Schwangerschaft und frühen Kindheit. Und das ist doch schon eine Menge.
EPIGENETISCHE PRÄGUNG ODER VERERBUNG?
Umwelteinflüsse auf eine schwangere Frau können auch auf den Embryo und damit auf seine entstehenden Keimzellen einwirken. Über die Keimzellen kann, wenn das Baby erwachsen ist und selbst Kinder bekommt, die Veränderung weitergetragen werden. In dieser Kette von Großeltern zu Enkeln handelt es sich um eine epigenetische Prägung.
Von einer epigenetischen Vererbung kann man erst sprechen, wenn die Veränderung beim Urenkel sichtbar ist. Bei der vierten Generation wäre auch der nur indirekte Umwelteinfluss auszuschließen. Die Veränderung müsste dauerhaft in den Keimzellen eingeprägt sein.
Tipps für eine epigenetisch gesunde Lebensweise
Isabelle M. Mansuy, Professorin für Neuroepigenetik an der Universität Zürich, empfiehlt vor allem folgende Maßnahmen, um das Epigenom positiv zu beeinflussen:
Eine abwechslungsreiche Ernährung mit sehr viel frischen Lebensmitteln, vor allem auf pflanzlicher Basis.
Die sogenannte Kreta-Diät ist eine gute Orientierung
Freundschaften pflegen. Sie geben uns Stabilität und machen den Alltag lebendiger
Ruhige Aktivitäten wie Meditation und das bewusste Hören von Musik in den Alltag einbauen
Bio-Lebensmittel bevorzugen. Pestizide enthalten hormonaktive Substanzen, die Veränderungen am Epigenom hervorrufen
Bei starken psychischen Belastungen psychotherapeutische Hilfe in Anspruch nehmen
Häufige und regelmäßige Bewegung
Wir können unsere
Gene steuern!
Isabelle M. Mansuy,
Jean-Michel Gurret,
Alix Lefief-Delcourt,
Berlin Verlag, 240 Seiten,
22 Euro, ISBN: 978-3-8270-1411-5
Bildnachweis:
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