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Start 3/2022 MOBIL BLEIBEN OHNE SCHMERZEN

MOBIL BLEIBEN OHNE SCHMERZEN

von Nicole Bichler
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BEWEGLICHKEIT BIS INS HOHE ALTER BEDEUTET LEBENSQUALITÄT. DOCH IN DEUTSCHLAND HAT BEREITS JEDER FÜNFTE ÜBER 60 JAHRE EINE VERSCHLEIßBEDINGTE ERKRANKUNG DES HÜFTGELENKS – TENDENZ STEIGEND. DIE GUTE NACHRICHT: SCHON MIT REGELMÄßIGEN KURZEN TRAININGSEINHEITEN KANN ES LEICHT GELINGEN, EINER ARTHROSE VORZUBEUGEN.

Portrait von Prof. Dr. Hanno Steckel

Prof. Dr. med. Hanno Steckel, ärztlicher Leiter des MVZ-VITALIS Berlin,
Zentrum für Orthopädie und Schmerztherapie.

Immer wenn wir stehen, gehen oder laufen, bewegt sich ein kugelförmiger „Kopf“ in der Pfanne unseres Beckens – unser Hüftgelenk ist aktiv. Es stellt die Verbindung zwischen Rumpf und Beinen dar und gehört somit zu den am stärksten belasteten Gelenken im Körper. Ein Verschleiß scheint vorprogrammiert, doch mit einfachen Maßnahmen können wir gegensteuern. Wie diese aussehen, verrät Professor Dr. med. Hanno Steckel, Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie.

GESUNDHEIT: Professor Steckel, in Ihrem Buch „Schmerzfreie Hüfte. Alle Alternativen zur OP ausschöpfen und Ihr Hüftgelenk gezielt trainieren“ stellen Sie den Lesern ­unter anderem ein Vier-Säulen-Training für den Erhalt eines gesunden Hüftgelenks vor, das auch dem restlichen Körper guttut. Was hat es damit auf sich?
» PROF. STECKEL: Um das Hüftgelenk vor Überlastungen zu schützen und dem Verschleiß vorzubeugen, ist Körperbalance wichtig. Sie entsteht durch eine gute Mobilität, ausreichend Kraft und Ausdauer sowie Koordinationsvermögen: vier Bereiche, die sich mit einfachen Übungen trainieren lassen.

So verbessern Sie beispielsweise Ihre Mobilität, indem Sie die Muskulatur regelmäßig dehnen und Ihre Faszien* geschmeidig halten. Diese sind häufig verklebt, verhärtet oder verkürzt, weil wir zu viel sitzen und uns zu wenig bewegen. Klassische Dehnübungen wie Ausfallschritte oder Rumpfbeugen helfen – ebenso das Training mit einer Faszienrolle. Eine kräftige Muskulatur wiederum wirkt stabilisierend und kann so Gelenke und die Wirbelsäule vor Überlastung, Fehlbeanspruchung und Verletzungen schützen. Ihre Kraft nimmt zu, wenn Sie mit Gewichtsbelastung trainieren. Das funktioniert beispielsweise mit Bällen oder Hanteln, aber auch mit dem eigenen Körpergewicht wie bei Kniebeugen.

Für die Ausdauer wählen Sie, was Ihnen Spaß macht:
Rudern, Schwimmen, Radfahren oder Wandern – es gibt zahlreiche Möglichkeiten, für mindestens 30 Minuten in ­Bewegung zu kommen. Menschen mit bereits geschädigten Hüftgelenken sollten allerdings nicht joggen. Alle diese Übungen trainieren gleichzeitig auch die Koordination. Für ein gezieltes Training können Sie auf einem Baumstamm balancieren, auf dem Trampolin hüpfen oder ein Wackelbrett ausprobieren. Ein gutes Gleichgewicht und eine ausgeprägte Reaktions- und Orientierungsfähigkeit sind die beste Sturzprophylaxe im Alter.

GESUNDHEIT: Ihre Empfehlungen klingen nach einem ordentlichen Zeiteinsatz.
» PROF. STECKEL: Ganz ohne Pflege und Kümmerung geht’s leider nicht – das ist beim Körper nicht anders als beim Auto. Es ist aber gar nicht so, dass uns langes, extensives Training voranbringt. Ideal sind Einheiten zwischen 30 und 45 Minuten zwei- bis dreimal pro Woche. Viele Übungen lassen sich auch bequem in den Alltag einbauen – wie etwa das Radfahren zur Arbeit oder die Kniebeugen beim Zähneputzen.

GESUNDHEIT: Was raten Sie Menschen, die über ein künstliches Hüftgelenk nachdenken, weil die Schmerzen chronisch geworden sind?
» PROF. STECKEL: Schmerzen entstehen durch den Verschleiß der schützenden Knorpelmasse – bei der Hüfte zwischen dem Hüftkopf und der Hüftpfanne. Man spricht dann von Arthrose.

Eine Arthrose hat immer den mechanischen Aspekt der Knorpelabnutzung und den biologischen Aspekt der Entzündungsreaktion. Beides muss behandelt werden. Insbesondere die Entzündung führt zu Schmerzen, Schwellung und Erguss des Gelenkes. Ich empfehle, vor einer Operation zunächst alle konservativen Therapien auszuschöpfen, wie etwa die Krankengymnastik, Physio- oder Ergotherapie. Wenn alle diese Maßnahmen nicht zum gewünschten Erfolg führen und es dann doch zu einer Operation kommt, so hilft das Training auch, um gut aus der Operation zu kommen – ganz im Sinne des „better in, better out“, auch Prähabilitation genannt.

Und zum Trost: Der Ersatz des Hüftgelenkes wurde in der renommierten Zeitschrift „The Lancet“ als die Operation des Jahrhunderts benannt. Kaum eine andere OP bringt so einen Gewinn an Aktivität und Lebensqualität. Da aber auch die Aspekte Haltbarkeit und Risiken wie Infektionen zu bedenken sind, sollten Betroffene vorher immer ­eine konservative Therapie durchlaufen.

*FAZIEN
Auch Bindegewebe genannt. Sie halten unseren Körper in Form, umhüllen Muskeln und Organe und sorgen für einen geschmeidigen Bewegungsablauf. Darüber hinaus transportieren sie verschiedenste Stoffe durch den Körper und übernehmen damit eine Stoffwechselfunktion.

Illustrationen verschiedener Übungen für eine gesunde Hüfte1) Dehnungstest – bei durchgestrecktem Hüftgelenk die Ferse ans Gesäß ziehen. Bleibt mehr als eine Handbreit Abstand übrig, ist die vordere Oberschenkelmuskulatur stark verkürzt.

Illustrationen verschiedener Übungen für eine gesunde Hüfte2) Mobilität – Dehnen der Abduktoren: Muskeln, die das Bein im Hüftgelenk abspreizen (Abduktoren) neigen durch langes Sitzen zur Verkürzung. Fuß neben das gegenseitige Kniegelenk stellen. Mit dem gegenseitigen Arm bei jedem Ausatmen das zu dehnende Bein zur Gegenseite drücken. 30 Sekunden halten. Drei Sätze, 15 Sekunden Pause zwischen den Sätzen.

Illustrationen verschiedener Übungen für eine gesunde Hüfte3) Kraft – Training der Abduktoren: Auf die Seite legen und das obere Bein beim Ausatmen abspreizen, bis der obere Fuß um die doppelte Schulterbreite vom Boden entfernt ist. Einige Sekunden halten, dann das Bein langsam absenken und dabei ausatmen. Drei Sätze bei 15 Wiederholungen je Satz. Dann das Bein ohne Pause wechseln.

Illustrationen verschiedener Übungen für eine gesunde Hüfte4) Ausdauer – für einen gesunden Bewegungsapparat ist Langzeitausdauer entscheidend (mind. 30 Min.). Für geschädigte Hüftgelenke sind Übungen mit zyklischem Ablauf wie Radfahren besser als stauchende Sportarten wie Joggen.

Illustrationen verschiedener Übungen für eine gesunde Hüfte5) Koordination – Balancieren ist die ideale Übung. Auf eine Linie (z. B. Handtuch) stellen, Arme seitlich ausstrecken und einen Fuß vor den anderen setzen, ohne die Linie zu verlassen.

Buchtipp: Schmerzfreie HüfteSchmerzfreie Hüfte. Alle Alternativen zur OP ausschöpfen und Ihr Hüftgelenk gezielt trainieren.
Prof. Dr. Hanno Steckel
164 Seiten. TRIAS Verlag. 19,99 Euro.
ISBN: 978-3-432-11523-8. Auch als E-Book erhältlich.

Bildnachweis:
iStock /fizkes, Till Budde, Tamara Kantz, TRIAS Verlag